Biografien-Datenbank: NS‑Dabeigewesene

Ludwig Roselius

(1874-1943)
Bremer Kaufmann, Kaffeehändler, Gründer der Firma „Kaffee Hag“, Mäzen, Förderer der Worpsweder Künstler.
Roseliusweg, Wilhelmsburg (benannt seit 1951)


Roselius und seine Beziehung zum NS-System

Roseilus war in das NS-System verstrickt: Erst Klee schreibt dazu: „1917 Mitbegründer der antisemitischen Deutschen Vaterlandspartei. Ließ ab 1924 die Bremer Böttcherstraße neu bauen. (1944 von Bomben zerstört). ‚Die Wiedererrichtung der Böttcherstraße ist ein Versuch, deutsch zu denken.‘ Gast im Hause Wahnfried, Förderer des Malers Hoetger [Sympathisant des Hitler-Regimes, wurde aber 1938 aus der NSDAP ausgeschlossen und emigrierte 1943 in die Schweiz] und des Pseudogelehrten Herman Wirth, Autor: Vom Ursprung und Sinn des Hakenkreuzes. Roselius 1933 in seinem Buch Briefe und Schriften zu Deutschlands Erneuerung über Hitler: ‚Der hehre Schwung seiner Seele, die Reinheit seines Gefühls für die deutsche Sache wird zur Erhabenheit.‘ Mitglied der Akademie für Deutsches Recht, Förderndes Mitglied SS. Hitler am 9.9.1936 auf dem NSDAP-Reichsparteitag: ‚Der Nationalismus lehnt diese Art von Böttcherstraßen-Kultur schärftens ab.‘ Dennoch 1937 auf der ersten Großen Deutschen Kunstausstellung im Münchner NS-Musentempel Haus der Deutschen Kunst als Ehrengast eingeladen.“ [1]

Roselius Antrag auf Mitgliedschaft in die NSDAP wurde zweimal abgelehnt. „Roselius, der die ‚Machtübernahme‘ der NSDAP enthusiastisch begrüßte, schrieb im November 1933 an Franz X. Schwarz, den Schatzmeister der NSDAP: ‚Ich habe unserm Führer ewige Treue geschworen und bin stets bereit, das zu tun, was er über mich bestimmt. Ich möchte es deshalb Ihnen überlassen, falls Sie es für gut halten, mich als Mitglied in die Partei einzureihen.“ [2]

In der Neuen Deutschen Biografie heißt es über Roselius Einstellung zum Nationalsozialismus: „Über die Vorstellungen vom nordischen Menschen und Wesen näherte er sich dem Nationalsozialismus; er organisierte 1933/34 Kongresse unter Beteiligung dt. und ausländischer Vorgeschichtsforscher und Nordisten zu Themen wie der Urbevölkerung Nordwestdeutschlands, der Germanischen Völkerwanderung oder der Einwohner Germaniens, die er ‚nordisches Thing‘ nannte. In Veröffentlichungen begrüßte er die ‚Machtergreifung‘. Die „Böttcherstraße“ wurde seit 1935 von der NS-Propaganda diffamiert, auf Hitlers Beschluß als Beispiel für ‚entartete Kunst‘ jedoch unverändert belassen.“ [3]

Die Böttcherstraße wurde 1937 komplett unter Denkmalschutz gestellt. Nachzulesen am 7. 5. 1937 im Gesetzblatt der Freien und Hansestadt Bremen. Eine Begründung für diesen Akt gab es nicht. Beispiele für „entartete Kunst“, die in der NS-Zeit unter Denkmalschutz gestellt wurden, sind nicht bekannt.

In Wikipedia steht zu Roselius‘: „Politisch konservativ stand Roselius dem Nationalsozialismus positiv gegenüber und unterstützte Hitler, den er 1922 privat in Bremen getroffen hatte. Das von ihm verfolgte völkisch bzw. nordfisch-germanische Gedankengut mit seinem Glauben an den unersetzlichen Wert der nordisch-niederdeutschen Rasse unter dem Einfluss der Ideologen Julius Langbehn und Hermann Wirth fand aber nur teilweise dessen Zustimmung. Die Böttcherstraße sollte diese Ideenwelt veranschaulichen (Roselius: ‚Die Wiedererrichtung der Böttcherstraße ist ein Versuch, deutsch zu denken.‘) Wie schwer die Persönlichkeit Roselius einzuordnen ist, macht ein Artikel von Alfred Faust aus dem Jahr 1924 deutlich. Faust schreibt u.a.: ‚Er ließ sich von verschuldeten Königen und von notleidenden Kommunisten anpumpen; er korrespondierte mit dem Hakenkreuz-Grafen Reventlow und mit dem Juden Rathenau, mit Wilson und König Ferdinand, mit Stresemann und Kakowski (als die rumänischen Delegierten vom Internationalen Hamburger Sozialistenkongreß zurückkehrten, besuchten sie nicht die Partei, sondern Roselius). Hatte er in Holland Geschäfte, so lud ihn der tennisspielende Exkronprinz zu sich, und als er in Bremen zurück war, lud er der roten Präsidenten Ebert zu Gast. Der Sozialdemokrat und Bodenreformer Emil Felden war ihm ein ebenso erwünschter Gesprächspartner wie der deutschnationale Hilfstrompeter Freiherr v. Hünefeldt.‘ (…)“ [4]

Alfred Faust, ein Freund von Roselius, der 1914 Werbeleiter bei Kaffee HAG wurde, war zwischen 1920 und 1933 Abgeordneter der Bremischen Bürgerschaft (zuerst für die USPD, später für die SPD) gewesen und 1932 in den Reichsttag gewählt worden. 1934 wurde er von den Nationalsozialisten verhaftet, kam ins KZ und später in weitere Haft. Nach dessen Entlassung aus dem Konzentrationslager und der Haft verschaffte Roselius ihm eine Anstellung beim Roselius‘ eigenem Angelsachsenverlag.

Über Roselius Beziehung zum Nationalsozialismus veröffentlichte auch die taz Bremen einen Artikel (29.12.2014): „Die Verstrickungen von Ludwig Roselius und seiner Böttcherstraße mit dem Nationalsozialismus werden heute nicht mehr verschwiegen. Im Gegenteil: Sie sind fester Bestandteil der Bremer Legende vom Selfmademan geworden, der Kaffee HAG und Kaba erfand und der mit Hitler um die Böttcherstraße stritt. In dieser Geschichte tritt Roselius als widerspenstiger Kunst-Mäzen auf, der im NS-Kulturstreit auf der expressionistisch-okkultistischen Verliererseite stand (…). Ein bisschen Widerstand, bevor sich Roselius schwer erkrankt ins Privatleben zurückzieht und 1943 verstirbt.

Eine widersprüchliche Figur soll er gewesen sein, die mit Kommunisten und Juden Umgang pflegte und in den höchsten Etagen der Nazi-Elite ein und ausging. Einige persönliche Einsichten kommen nun aus Australien: Sie finden sich in dem Buch ‚Bombshell‘ von Ludwig Leidig. Der Titel und eine wehende Hakenkreuz-Fahne auf dem Umschlag sehen zunächst ein bisschen verrückt und nach Nazi-Trash aus – jedenfalls nicht nach einer typischen Bremensie oder einem historischen Fachbuch.

Aber Leidig ist doch an beidem nah dran. Er ist der Sohn von Barbara Götte, der Privatsekretärin und engen Freundin des Kaffee-Magnaten Roselius. ‚Bombshell‘ gibt ihre mündlichen Berichte wieder und flankiert sie mit zahlreichen, bislang unbekannten Briefen aus ihrem Nachlass.

Roselius kauft die Böttcherstraße, um sie als Inspiration einer Deutschen Selbstfindung umzugestalten - und als Werbung für sein Unternehmen Kaffee HAG. Arbeiten von Paula Modersohn-Becker und anderen KünstlerInnen der Moderne werden hier ausgestellt.

1931 wird das Haus Atlantisfertig, an dessen Fassade eine Plastik des Bildhauers Bernhard Hoetger hängt, die einen riesigen gekreuzigten Odin darstellt.

In der SS-ZeitungDas Schwarze Korps wird die Straße und ihre ‚entartete‘ Gestaltung angegriffen. Hoetgers Fassadenrelief ‚Lichtbringer‘ von 1936 wird als Ehrung Hitlers angepriesen - wohl, um kritischen Stimmen den Wind aus den Segeln zu nehmen

Im NS-Kulturstreitum die deutsche Kunst setzt sich wagnerianischer Schicksals-Kitsch gegen einen völkischen Expressionismus und dessen esoterische Ableger durch. Hitler sprach abwertend von ‚Böttcherstraßen-Kultur‘ und ‚mystisch veranlagten okkulten Jenseitsforschern‘.

Hötgers Odinbleibt trotzdem hängen, bis die Böttcherstraße bei einem Bombenangriff vollständig zerstört wird.

Nach dem Wiederaufbaugerät die Nazi-Vorgeschichte zunächst in Vergessenheit. Erst um 2000 wird das Thema von Arn Strohmeyer und anderen wieder bearbeitet. Sie werden als Nestbeschmutzer beschimpft.

Leidig beschreibt Roselius als ehrenwerten Großkapitalisten, und legt nahe, dass es bei der Geschichte letztlich doch um Geld und weniger um Kunst und Atlantis geht. Und: ‚Roselius war Imperialist‘, schreibt Leidig beiläufig.

Was das bedeutet, erklärt der Historiker Jörg Wollenberg: Die hanseatischen Kaufleute um Roselius hätten die ‚Kriegsziele des NS bereit im Ersten Weltkrieg vorweg genommen‘. Sie erschlossen die Ukraine für die deutsche Raubwirtschaft: eine unerschöpfliche Kornkammer für Großdeutschland, die von Finnland über die Krim bis an die türkische Grenze reichte.

Auch ideologisch war Roselius nicht Mitläufer, sondern Vordenker des NS. Er gründete 1917 die ‚Deutsche Vaterlandspartei‘, die schon damals einen ‚nationalen Sozialismus‘ propagierte und versuchte, eine anti-kommunistische Massenbewegung zu schaffen.

Über eine germanisch-deutsche Identität zusammengeschweißt sollte das Volk nicht auf revolutionäre Gedanken kommen. ‚Nationalsozialist bin ich seit 1918‘, schrieb Roselius später in seiner Bewerbung um Aufnahme in die NSDAP. Er hat nicht übertrieben.

Trotz der viel debattierten kulturellen Meinungsverschiedenheiten ist sich Roselius doch da mit Hitler einig geblieben, wo es wirklich darauf ankam: beim Krieg. Zu Roselius’ Imperium gehörte auch der Flugzeugbauer Focke-Wulf.

Die AG wurde 1936 in eine GmbH umgewandelt, musste ihre Zahlen nicht mehr veröffentlichen und konnte darum im Verborgenen wirtschaften. Nach einer gewaltigen Kapital-Aufstockung begann noch im selben Jahr der geheime Aufbau einer deutschen Luftwaffe.

Leidig vermutet in ‚Bombshell‘, Roselius habe die Entscheidung getroffen und eigenhändig Kapital in Focke Wulf gepumpt, um so eine Bestandsgarantie für die umstrittene Böttcherstraße von Hitler zu erkaufen. Das Buch erzählt eine dramatische Szene, in der die Sekretärin Barbara Götte Hitler aufsucht, um zwischen dem Führer und dem schwer kranken Roselius zu vermitteln: Eine junge Frau an den Schaltstellen der Macht.

Götte war im gleichen Alter wie Roselius’ Tochter, deren Schwägerin sie ist. Sie gehört also bereits zur Familie als Roselius sie zur Assistentin machte. Und damit begann ein außergewöhnliches Leben mit Geschäftsreisen um die ganze Welt, Safaris und Luxus-Partys, als der Krieg bereits in vollem Gang war.

Als Frau konnte Götte bei Geschäftsterminen anwesend sein, ohne dass sich jemand sorgte, sie würde eines Tages zur Konkurrentin. Später pflegte sie den bettlägrigen Roselius bis zu dessen Tod. ‚Bombshell‘ ist auch eine Liebesgeschichte – eine rein platonische allerdings, wie Roselius in einem Brief an eine Freundin seiner Ehefrau betonte. Er sei seit der Amputation seines Beines ohnehin impotent.

Nach Roselius’ Tod verschwand Götte von der Bildfläche. Leidig behauptet, ihr sei ein Erbe von Roselius versprochen gewesen, um das sie aus Rücksicht auf die Töchter aber nicht streiten wollte. ‚Bombshell‘ dokumentiert ihre Briefe aus Worpswede, wo sie in Sicherheit vor alliierten Bomben das Studium wieder aufnahm. Dort hat sie sich schließlich in ihren Lehrer Paul Leidig verliebt, mit dem sie nach Australien zog. (…)“ [5]